Valle de los Ingenios




Blick vom Cerro de la Vigía. Im Hintergrund
die Sierra Escambray, Rückzugsgebiet der
Konterrevolutionäre nach Castros Sieg.
Trinidad wird von der unbewaldeten Kuppe des 180 Meter hohen Cerro de la Vigía überragt. Auf dem kahlen Gipfel, den wir nach einer guten halben Stunde Fußmarsch erreichen, steht der Radiosendemast. Über eine wacklige Holzleiter klettern wir auf eine kleine Aussichtsplattform. Der Blick reicht über die ganze Stadt bis zum Meer mit der Playa Ancón, aber auch weit in das Valle de los Ingenios, das Tal der Zuckermühlen. Das fruchtbare Tal ist genau wie die Innenstadt von Trinidad Teil des Weltkulturerbes. Noch vor dem Aussichtspunkt fängt uns Diosvani ab, der beim Radiosender arbeitet, und erklärt uns das Panorama.


Diosvani spricht ausschließlich spanisch, aber langsam und in einfachen Sätzen, sodass wir ihm ohne Weiteres folgen können. Der junge Mann kennt sich wirklich gut aus. Er bietet an, uns am nächsten Tag durch einen Teil des Valle de los Ingenios zu führen.



Bohio, einfache Hütte für einen Bauern.

Ausflug mit Diosvani

Um 9 Uhr morgens treffen wir Diosvani am Stadtrand. Über schmale Pfade gehen wir im Geschwindschritt erst durch den Wald, dann vorbei an einer frischen Rodung. Bei den neu angelegten Feldern und Gärten steht eine primitive Hütte.





Leider noch nicht renoviert: das Haupthaus von La Pastora.
Nachdem wir durch einen Fluss gewatet und ein Stück der Bahnlinie gefolgt sind, gelangen wir zum Landgut La Pastora. Das Herrenhaus aus dem frühen 19. Jahrhundert, mehr oder weniger eine Ruine, wartet noch auf die Restaurierung. Wo einst auf den Zuckerrohrfeldern des Großgrundbesitzers die Sklaven arbeiten mussten, erstreckt sich heute eine landwirtschaftliche Kooperative. Wir rasten kurz bei einer Tasse Kaffee in einem der kleinen Bauernhäuser bei Freunden Diosvanis.


Nicht alle Kubaner sind extraverierte Spaßbomben.
Unser Führer Diosvani war eher melancholisch veranlagt,
aber hier lacht er mal.
Zu Geschichte und Natur seiner Heimat kann man Diosvani nahezu alles fragen, er ist ein wandelndes Lexikon. Er kennt nicht nur alle Pflanzen und Tiere, er weiß auch über ihre Eigenschaften zum Beispiel als Heilpflanzen zu berichten. Dieses Wissen war in Kuba in den vergangenen harten Jahren von großem praktischem Wert. Zuhause hat Diosvani eine junge Frau und ein kleines Kind. Er träumt davon, eines Tages selbst eine kleine Finca zu besitzen und als Selbstversorger von der Landwirtschaft zu leben.



Villa Fischer, Eingangsbereich. Im Hof
tummeln sich heute Ziegen.

Rast in der Villa Fischer

Nachdem wir noch eine Ziegelei angeschaut haben, besuchen wir ein Anwesen, das unser Führer als »Villa Fischer« bezeichnet. Das Gebäude stammt offenbar aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts, ist jedenfalls deutlich nüchterner als die Palacios des 19. Jahrhunderts, wie wir sie sonst aus Trinidad und Umgebung kennen. Der Name Fischer kommt vom letzten Besitzer, einem Kubaner mit deutschen Wurzeln. Fischer war Freund und Parteigänger des Diktators Batista, der 1959 durch die Revolution gestürzt wurde.









Villa Fischer. Im Museum in Trinidad standen
die gleichen Stühle, nur dass man sich dort
nicht draufsetzen durfte.
Inzwischen ist es ziemlich heiß geworden und wir sind froh, als wir in der angenehm kühlen Villa Fischer eine Pause einlegen können. Ein älteres Ehepaar verwaltet das Anwesen und kann die herrschaftlichen Räume kaum füllen. Während wir auf das Zuvorkommendste mit Kaffee, Süßigkeiten und Kokosnüssen bewirtet werden, machen wir es uns auf antiken Stühlen an einem uralten Tisch gemütlich. Antiquitäten, wie sie auch im Historischen Museum Trinidads ausgestellt sind, nur dass in der Villa Fischer das Schild »Berühren verboten« fehlt.
Touristen wie wir kommen nur hin und wieder vorbei. Das Ehepaar betreibt etwas Landwirtschaft und züchtet Ziegen, die im Patio des Anwesens herumspringen. Sie haben drei Pferde und einen einspännigen Wagen, mit dem sie in die Stadt fahren können.




Unterwegs wurden wir mit frisch gepresstem Zuckerrohrsaft bewirtet.
Der Zuckerrohrsaft – spanisch Guarapo – schmeckt gar nicht so extrem süß,
gekühlt ist er sehr erfrischend. Ein Bier war mir dann aber doch lieber.



Party am Wasserfall

Ceiba, der heilige Baum. Kein Kubaner
würde es wagen, ihn zu fällen.
Weiter geht es durch die Sonne über dürre Felder und Weiden, stellenweise gibt es kleine Zuckerrohrfelder. Unser nächstes Ziel ist ein Wasserfall am Rand des Tales, der in einen unterirdisch gespeisten Quelltopf stürzt. Wir treffen jetzt auf andere Touristen, die dem gleichen Ziel zustreben, allerdings sind wir die einzigen zu Fuß. Alle anderen sind beritten, und ich muss sagen, ich beneide sie nicht, wenn ich sie in der Hitze auf ihren Pferden hängen sehe.

Zum Glück tauchen wir bald in den Schatten des Waldes und folgen einem Bach. Wo es Wald und Wasser gibt, ist der Tocororo nicht weit, der kubanische Nationalvogel, den wir dank unseres Führers schon nach kurzer Zeit zu Gesicht bekommen.



Der Wasserfall macht bei der herrschenden
Trockenheit nicht so viel her, aber im Quelltopf
kann man ein erfrischendes Bad nehmen.


Auf den Felsen um Quelle und Wasserfall lagern vielleicht zehn Leute, weitere zehn baden oder springen von der Felswand ins tiefe Wasser. In einem Unterstand aus kleinen Baumstämmen, die ein schattiges Dach aus belaubten Ästen tragen, wird Rum und Dosenbier verkauft. Kubaner haben die Gabe überall und zu jedem Anlass in Partylaune überzugehen. Ein Trio mit Gitarre macht Musik. Tatsächlich fangen auch einzelne auf den äußerst unebenen Felsen an zu tanzen. Die Stimmung wird richtig ausgelassen.




Der Hausherr der Villa Fischer bereitet
das Pferd zum Anspannen vor.
Ich lasse mich dazu hinreißen, ebenfalls im Quelltopf zu baden, was mir allerdings am nächsten Tag einen unangenehmen Durchfall beschert.
Auf dem Rückweg wird die Nachmittagshitze so unerträglich, dass wir uns erneut in die gastfreundliche Villa Fischer flüchten. Der Verwalter fackelt nicht lange und spannt eines seiner drei Pferde vor den Wagen. Im Zuckeltrab geht es zurück in die Stadt.








Mit dem Zug durch das Valle de los Ingenios

Das einst stolze Schienennetz Kubas hat schwer unter der Krise der vergangenen Jahrzehnte gelitten. In Trinidad ist es besonders schlimm. Nach schweren Hurrikanschäden existiert nur noch eine Stichverbindung ins Valle de los Ingenios. Laut unserem sehr verlässlichen Führer Lonely Planet fahren täglich vier Züge ins Tal, allerdings fallen sie oft aus. Am zuverlässigsten sollen die Verbindungen um 9 und 13 Uhr sein. Für die Einheimischen ist die Eisenbahnlinie inzwischen kaum noch interessant, aber Touristen bietet sich eine attraktive Gelegenheit, das Tal zu erkunden.

Eine seltene Begegnung, da kaum noch Züge fahren.

Vor dem staatlichen Reisebüro Cubatur hängen Prospekte, die mehrere Touren per Zug anbieten. Also versuchen wir es zuerst dort. Glücklicherweise liegt das Büro nahe bei unserer Unterkunft, denn erst nach mehreren vergeblichen Versuchen treffen wir einen korpulenten Herrn im Anzug an. Seine Auskünfte sind allerdings recht unklar. Am meisten schreckt uns ab, dass wir uns für die Tour am nächsten Morgen schon um 7 Uhr vor dem Reisebüro einfinden sollen. Da probieren wir es doch lieber auf eigene Faust.

Der Bahnhof von Trinidad ist so unscheinbar, dass
wir Schwierigkeiten hatten, ihn zu finden.



Nach einigem Suchen finden wir den Bahnhof, ein kleines gelbes Häuschen etwas abseits der Schienen am Rand der Stadt. Eine Frau erklärt uns, dass der Zug morgen um 11 Uhr ins Valle de los Ingenios abfährt, zur Zeit die einzige Verbindung. Mit dem gleichen Zug könne man dann wieder zurückfahren. Wieso die armen Touristen, die an der geführten Tour von Cubatur teilnehmen, schon um 7 Uhr antreten müssen, bleibt rätselhaft.







Der Zug von Trinidad Richtung Manaca Iznaga
fährt in den Bahnhof ein.
Am nächsten Tag gehen wir lieber eine Stunde zu früh zum Bahnhof. Kein Fehler, wie sich herausstellt: Vor uns sind erst einmal mehrere Reiseführer an der Reihe, die ganze Berge von Tickets für ihre Schäfchen abholen. Außerdem erweist sich der Kartenkauf als ziemlich umständlich. Am Schalter sitzt ein junger Schwarzer in einer scheußlichen Uniform und beschäftigt sich mit einer Unmenge von winzigen Zetteln, die er auf Durchschlagpapier ausfüllt, sortiert, abreißt, stempelt, ablegt. Das Verfahren wird durch einen Ventilator kompliziert, dessen Luftstrahl die Zettel in regelmäßigen Abständen durcheinander wirbelt.

Schließlich, wenige Minuten vor der Abfahrtszeit, haben wir doch noch unsere Karten ergattert. Draußen hat sich inzwischen eine ansehnliche Menschenmenge angesammelt, die meisten offenbar Teilnehmer der organisierten Fahrt. Wir fragen lieber nicht, was sie seit 7 Uhr schon alles gemacht haben. Und kaum 20 Minuten nach der offiziellen Abfahrt hört man die Lokomotive pfeifen. Mit großem Getöse fährt eine Diesellok mit mehreren offenen Waggons in die Station.

Kaum hat der Zug Trinidad verlassen, geht es durch
die unglaublich grüne Landschaft im Tal des Guarabo.
 Die Brücke im Hintergrund führt über den Fluss.



Kaum verlässt der Zug die Stadt, beschleunigt er ungefähr auf das Tempo eines gemäßigten Radfahrers. Das Klappern und Ächzen der Waggons wird noch übertönt von einem Musiker, der mit seiner Gitarre die Runde macht und gegen den Lärm ansingt. Im ersten Wagen gibt es auch eine Bar, an der man Cocktails holen kann. Zu Beginn, unmittelbar am Stadtrand und in Flussnähe, fährt der Zug kurzzeitig durch unglaublich grüne und üppige Vegetation. Bald kommen wir in die offene und trockene Landschaft, die wir einige Tage zuvor mit Diosvani erwandert hatten. Es wird allmählich heiß, aber das Zugdach bietet Schatten, der Fahrtwind Abkühlung.



Am Zugang zum Turm preisen fliegende Händler
ihre Waren an.

Der Turm von Iznaga

Nach einer halben Stunde erreichen wir Manaca Iznaga, etwa 13 Kilometer entfernt von Trinidad. Wir steigen aus, und der Zug fährt sofort weiter. Keine Ahnung, wie das weitergehen soll, aber der Zug wird uns ja wohl hier wieder irgendwann abholen.

Manaca Iznaga war im Besitz der verzweigten Familie Iznaga Borrell, die zu den reichsten Zuckerrohrbaronen der Gegend gehörte. Neben dem renovierten Haupthaus erhebt sich das Wahrzeichen von Iznaga, der 44 Meter hohe Turm, erbaut irgendwann zwischen 1815 und 1830.





Die wenigsten Touristen machen einen Spaziergang durch
das Dorf.  Doch auf diese Weise kommt man zur Rückseite
des Turms und ist die lästigen Händler los.
Der Legende nach entstand das siebenstöckige Bauwerk im Jahr 1826 aus einem Wettstreit der Brüder Alejo und Pedro Iznaga Borrell. Alejo baute den Turm, Pedro grub einen Brunnen so tief wie der Turm hoch war. Weitere Legenden ranken sich um Juana, Alejos Frau. Mit der jungen Schönheit zog das Glück in die Hacienda Manaca Iznaga. Sogar die Sklaven in den umliegenden Baracken vergaßen ihr Elend, wenn Juana auf dem alten deutschen Klavier der Iznagas musizierte. Doch das Glück endete jäh: Der alte Alejo tötete aus Eifersucht einen jungen Verehrer Juanas und sperrte seine Frau in den Turm. In der Haft verlor sie den Verstand und starb. Sie soll heute noch im Turm spuken. Natürlich gibt es auch eine prosaische Erklärung für den Turm: Er diente als Ausguck, um die Sklaven zu überwachen und etwaige Feuersbrünste zu melden.

Die schöne Fassade der Hacienda von Manaca Iznaga
mit den Arkaden wurde 1989/1990 wieder aufgebaut.
Bei der Rekonstruktion ließ man sich von einem
Kupferstich aus dem 19. Jahrhundert inspirieren.





Selbstverständlich kann man den Turm besteigen. Doch zuvor gilt es Spießruten laufen: Der Zugang wird von fliegenden Händlern belagert, die man erst einmal abschütteln muss. Doch es lohnt sich. Der Blick reicht nach allen Seiten weit über das Valle de los Ingenios und die benachbarten Höhen der Sierra Escambray. Hinter dem Haupthaus kann man eine riesige Zuckerrohrpresse besichtigen. In der Villa befindet sich ein schönes Restaurant, doch wir haben bei der Hitze kaum Hunger. Wir kaufen lieber bei den fliegenden Händlern ein Büschel Bananen und lassen uns an einem kleinen Stand ein Glas Zuckerrohrsaft pressen.
Auf der Haciende von Guachinango züchtete man einst
Rinder. Heute beherbergt das Haupthaus ein Restaurant.



Ländliche Idylle in Guachinango

An der Haltestelle hat sich inzwischen ein Pulk versammelt und tatsächlich, der Zug kommt uns abholen. Als wir eingestiegen sind, setzt er sich jedoch in die falsche Richtung in Bewegung. Offenbar ist unser Ausflug noch nicht zu Ende. Nach wenigen Kilometern erreichen wir die Hacienda von Guachinango. Hier hat man kein Zuckerrohr angebaut, sondern Rinder gezüchtet, auch heute noch ein bedeutender Erwerbszweig für Trinidad. Im farbenfrohen Gebäude des späten 18. Jahrhunderts mit Fenstergittern aus Holz hat man ein Restaurant eingerichtet. Als wir ankommen wird gerade eine Gruppe französischer Touristen mit »puerco asado« bewirtet – Spanferkel. Puerco asado ist für Kubaner das Festessen schlechthin. Über einer länglichen Grube mit der glühenden Holzkohle wird das Schwein stundenlang gegart. Das geschieht natürlich im Freien. Rauch und kubanische Luft geben dem Schweinefleisch einen unvergleichlichen Geschmack.

Auf der Terasse der Hacienda von Guachinango
lässt es sich auch bei Hitze gut aushalten.
In einer Ecke des Hofs vor der großen Veranda der Hazienda qualmt es aus der Grube, über der noch der Drehspieß hängt. Drei Männer sind dabei, das gegarte Schwein zu portionieren und zu verteilen. Dabei müssen sie dauernd Hühner verscheuchen, die pickend zwischen ihren Beinen herumlaufen und versuchen, Stücke vom Braten zu ergattern. Leider ist das ganze Schwein für die französische Gruppe reserviert. Als Alternative bietet uns die Kellnerin pollo (Hähnchen) und ensalada (Salat) an. Wir nehmen zusammen ein halbes Hähnchen und sind sehr zufrieden. Es schmeckt ausgezeichnet, und bei der Hitze sind wir mit der Portion gut bedient. Auf der anschließenden Rückfahrt geht es dann recht ruhig zu. Nach dem sehr schönen, aber wegen der Hitze auch anstrengenden Ausflug wollen alle nur noch nach Hause.

Voll klimatisierte Waggons.

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